CORD MEIJERING COMPOSER

"No man ever steps in the same river twice" (Heraclitus)

CORD MEIJERING
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한恨 - HAN
for orchestra

1 flute, 1 oboe, 1 clarinet (Bb), 1 basson, 1 horn (F), 1 trumpet (C), 1 tenor trombone, timpani, strings

composed in
2015/2016

duration
approx. 10 min. 20 sec.

dedicated to
Jocelyn Clark - as a thank-you for our long time friendship and for her extraordinary support in South-Korea

first performance
February 19, 2016
오케스트라를 위한 청작곡 Festival 2016

청주아트홀 (Cheongju-Art-Hall), Cheongju (South-Korea)
Chungbuk Philharmonic Orchestra

Conductor: 양승돈 Seung Don Yang

publisher
EDITION MEIJERING

program notes (german language)
Nachdem im Jahre 2014 in Daegu (Süd-Korea) meine 3. Sinfonie mit Texten von Federico García Lorca zur Uraufführung gelangt war, veröffentlichte die amerikanische Gayageum-Spielerin und Musikethnologin Jocelyn Clark im koreanischen Musikmagazin 라라 (Lara) einen längeren Aufsatz unter dem Titel “음악의 진심: 두엔데와 한恨” (Wahrheit der Musik: Duende und Han) - [http://hellolara.com/?p=56054]. Dieser befasste sich ausgehend von Lorcas Begriff des “Duende” mit dem koreanischen “Han”, mit dem “Fado" Portugals, bis hin zum deutschen Wort “Weltschmerz”. All dies setzte sie abschließend in Bezug zu meiner 3. Sinfonie. Jocelyn Clark zeigte mir damit Bezüge innerhalb meines Schaffens, die mir bis dorthin nicht bewusst gewesen waren und die auf intuitive, instinktive Weise in meiner Musik Gestalt angenommen hatten.

Jocelyn Clark berichtet in ihrem Aufsatz von einem Gespräch mit dem Schlagzeuger Kim Dongwon, der aus biografischen Gründen viel über Han nachgedacht hatte:

“Ich fragte ihn, wie nach seiner Auffassung das Wort Han angemessen ins Englische zu übersetzen sei. In Anlehnung an die zahlreichen Koch-Begriffe, die bei der Beschreibung koreanischer Musik verwendet werden, begannen wir mit Kimchi (fermentierter China-Kohl) und endeten irgendwann bei >fermented sorrow (fermentiertes Leid)< als einer guten englischen Wendung um die Schichten faulenden Schmerzes, die sich im Laufe des Lebens ansammelt, zu beschreiben. Dies mit Lorcas Metapher mischend, könnte man im Englischen Han als fermentierter Schmerz bezeichnen, der im selbst erbauten Gerüst des Selbst auf uns wartet um dieses Selbst zu regenerieren und um aus seinem verrotteten Kohl ein gesundes Mahl zu bereiten”.

Die von Jocelyn Clark formulierten Gedanken trafen mich auf mir nicht erklärliche Weise sehr tief und verbanden sich mit meinem eigenen Denken, mit meinem Gefühl zur Welt.

Als der koreanische Komponist Park Euihong mich 2015 bat für das Chungbuk Symphony Orchestra und den Dirigenten Yang Seong-don ein Orchesterwerk zu schreiben, beschloss ich dieses Werk 한恨 (Han)zu nennen.

In der Musik verbindet sich in einem zehnminütigen Lamento das koreanische Gefühl des Han mit der deutschen Idee des Weltschmerzes. Als rhythmischen Bezugspunkt wählte ich den Rhythmus 진양조 (Jinyangjo), der in der traditionellen koreanischen Musik am intensivsten mit dem Gefühl des Schmerzes und der Trauer verschmilzt. Es handelt sich dabei um eine Periode von 24 3-Achtel-Takten (westliche Notation), die im Laufe des Werkes 13 mal wiederholt wird. Die Zahl 13 repräsentiert das Unglück nach westlicher Auffassung. Hinzu kommt das deutsche Volkslied “Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb. Sie konnten beisammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief” und am Ende des Werkes Bachs Choral aus der Matthäus Passion “Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir”.

Das Volkslied erzählt die Geschichte von den beiden Königskindern, die einander so lieb hatten. Sie konnten nicht beisammen kommen, da das Wasser viel zu tief war. Die Königstochter stellt dem Königssohn drei Kerzen auf, damit er den Weg zu ihr finden kann. Eine falsche Nonne löscht die Kerzen aus, und der Königssohn ertrinkt. Die Königstochter bittet den Fischer sein Netz auszuwerfen. Das Netz sinkt bis auf den Grund des Meeres. Der erste Fisch, den der Fischer fing, war der Königssohn. Die Königstochter umarmt ihn und küsste seinen toten Mund. “ Ach Mündlein, könntest du sprechen, so wär mein jung Herz gesund”. Sie bezahlt den Fischer mit goldener Krone und rot goldenem Fingerring. Dann wirft sie ihren Mantel um und und springt hinein in die See. “Gut Nacht, mein Vater und Mutter, ihr seht mich nimmermehr” (dies erinnert auch an den Moment in der Koreanischen Geschichte vom Mädchen “Versinkende Liebe” (Shimcheong), in dem sie sich selbst an die Indang See opfert um ihres Vaters Augenlicht wiederherzustellen). Das deutsche Volkslied endet mit den Worten des Erzählers: “Da hört man ein Glöcklein läuten, da hört man Jammer und Not; hier liegen zwei Königskinder, die sind alle beide tot”.

Während der ersten zwölf Perioden des Jinyangjo erscheint das Volkslied in gedehnten Phrasen, mal nur als Allusion, mal deutlicher. In der sechsten Periode tritt es dann klar in den Vordergrund, um in den Perioden sieben bis elf wieder undeutlicher zu werden. In der vorletzten Periode, der zwölften, erscheint - wie ein geisterhafter Kommentar zum ganzen Werk, oder auch als vermeintliche Erlösung aus dem Schmerz - Bachs Choral aus der Mätthäus-Passion “Wenn ich einmal soll scheiden”. Der Beginn der Melodien des Volksliedes und des Bach-Chorals weisen einige Ähnlichkeiten auf: Die Choral-Melodie springt in reiner Quarte aufwärts um danach stufenweise klagend abwärts zu steigen. Das Volkslied springt expressiv in großer Sexte hinauf um ebenso, nach kurzen Tonrepetitionen, stufenweise klagend abwärts zu sinken. Um den Auftritt Bachs in der zwölften Periode ein wenig zu verschleiern, änderte ich den Quartsprung gemäß dem Volkslied in einen Sextsprung und ließ einige Repetitionen folgen, bevor der klagende Abstieg beginnt. Es war mein Bestreben, dass der Choral sich geisterhaft in die Musik hineinschleichen möge, anstatt plötzlich klar das “Theater” zu betreten. Erst die Harmonie des Bach-Chorals verrät dem Publikum das Zitat. Orchestriert ist dieser Teil wie ein Orgelklang, der auch an wenigen anderen Teilen vorher den Klang des Orchesters bestimmt. Im Bach-Choral hat der Text eine religiöse Bedeutung: “Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir”. Auf das Volkslied bezogen, bezeichnet er jedoch den Wunsch der Königstochter, wenigstens im Tod mit dem Königssohn verbunden zu sein, von ihm nicht geschieden zu werden. Die dreizehnte Jinyangjo-Periode, der Schluss des Werkes führt ins Desaster. Die Musik kollabiert. Übrig bleibt der “nackte” Jinyangjo-Pauken-Puls, gleich einem ersterbenden Herzschlag, begleitet vom tiefen Blech und dem lang angehaltenen Ton “Ais" in den Violoncelli und in den Kontrabässen.

Der Partitur vorangestellt ist ein Zitat von Edgar Allen Poe: “Melancholy is thus the most legitimate of all poetical tones…” (“The Philosophy of Composition”).

Die Widmung lautet: “for Jocelyn Clark - as a thank-you for our long time friendship and for her extraordinary support in South-Korea”.

program notes (english language)
In 2014, after my 3rd Symphony, which features lyrics by Federico García Lorca, premiered in Daegu (South Korea), the American gayageum player and ethnomusicologist Jocelyn Clark (조세린) published a long essay titled “음악의 진심: 두엔데와 한恨” (Music’s Truth: Duende and Han) in the Korean music magazine 라라 (Lara) [http://hellolara.com/?p=56054]. The essay explored the Korean term han in terms of Lorca’s idea of duende, the fado of Portugal, and the German word weltschmerz, all of which she related back to my 3rd Symphony. In her writing, Jocelyn revealed to me relationships inside my work that I had not recognized until that moment—relationships that had expressed themselves purely in an intuitive, instinctive way inside my composition.
In her essay, Jocelyn recounts a conversation she shared with the drummer Kim Dongwôn, who, for reasons apparent from his biography, had also thought a lot about the meaning of han:
I asked him how he thought the word han might be appropriately translated in English. Borrowing from the many cooking terms used to describe Korean music, we started at kimchi and eventually arrived at “fermented sorrow” as a good English phrase to describe the layers of festering pain that accumulate over a lifetime. Mixing it with Lorca’s metaphor, we might thus in English call han the fermented sorrow that awaits inside . . . for us to reclaim it and make of its rotting cabbage a healthy meal.
The thoughts Jocelyn Clark formulated hit me very deeply in a way that I cannot easily explain. They merged with my own thoughts, with my feelings about the world.
The following year, in 2015, when the Korean composer Park Euihong asked me to compose an orchestral work for the Chungbuk Symphony Orchestra under the conductorship of Yang Seong-don, I decided to call this work () (Han).
In a ten minute lamento, the Korean emotion of han combines itself with the German idea of weltschmerz. As a rhythmical point of orientation, I chose the long, slow rhythm iinyangjo 진양조, with its four seasons, which in Korean traditional music perhaps merges most intensely with the emotion of pain. In my piece, this long rhythm pattern—twenty-four 3/8 bars (in western notation)—is repeated 13 times, a number that in the West represents superstition and bad luck. Next to this, we hear the melody of a German folk song: “There were once two royal children, who loved each other so much. They couldn’t come together, the water was much too deep.” Finally, at the end of the work, we hear Bach’s choral from St. Matthew’s Passion: “When I one day will depart, please do not depart from me.”
The folk song tells a story about two royal children who loved each other but were separated by a sea. The royal girl arranges three candles to help the royal boy to find his way to her, but a fake nun blows out the candles and the boy drowns. The girl asks a fisherman to throw out his net, but the net sinks to the bottom of the sea. The first “fish” the fisherman catches, however, is the royal boy. The girl hugs him and kisses his dead mouth, singing “O mouth if you could speak, my young heart would become healthy.” She pays the fisherman his fee by giving him her golden crown and her red and gold ring. Then she puts on her coat and jumps into the sea. “Good night my father and mother, you will see me nevermore” (reminiscent of the moment in the Korean tale of the girl “Sinking Love” (Shimcheong), when she sacrifices herself in the Indang Sea to restore her father’s sight). The German folk song ends with the words of the narrator: “A small bell sounds—woe and want. Here are two royal children, and both of them are dead”.
In my piece, during the first 12 cycles of the iinyang rhythm pattern, the German folk song appears in stretched phrases, sometimes just as allusions, sometimes more distinctly. In the 6th cycle, however, it shows up very clearly in the foreground, becoming unclear again in the 7th through 11th cycles. In the penultimate cycle, it appears as a ghost-like annotation to the whole work—a redemption from the pain in Bach’s choral from St. Matthew’s Passion, “When once I must depart, do not depart from me. . .” The beginning melodies of the folk song and of the Bach choral are quite similar. The choral melody jumps up a perfect 4th only to fall down again stepwise, lamenting. The folk song jumps up expressively a major 6th to sink down again after short repetitions, stepwise, lamenting. To camouflage the appearance of the Bach in cycle 12, I changed the perfect 4th to the interval of the folk tune—a major 6th—followed by some tone repetitions before the lamenting descent starts. I wanted the choral’s ghost-like skulks to hide, cloaked in the music, instead of appearing “on stage,” suddenly and clearly. The harmony then reveals the Bach allusion.
The orchestration of this part is like an organ, which also shows up a few other places in the score. In Bach’s choral, the lyrics have a religious meaning: “When once I must depart, do not depart from me” (which continue in the original, “When I must suffer death, then stand thou by me! When I most full of fear at heart shall be, then snatch me from the terrors of fear and pain by thy strength!”) In the folk song, they describe the royal daughter’s wish to be connected to the royal son in death—to not become separated from him.
The 13th iinyang cycle— the end of the work—leads to disaster. The music collapses. All that remains is the “naked” jinyangjo timpani pulse, like a dying heartbeat, accompanied by deep brass and a long A sharp in the celli and double basses.
An Edgar Allan Poe quote provides the score’s epigraph: “Melancholy is thus the most legitimate of all the poetical tones . . .” (from “The Philosophy of Composition”).

Dedication: “For Jocelyn Clark—as a thank you for our long-time friendship and for her extraordinary support in South Korea.”